Dienstag, 2. Dezember 2008

Blumenkuesser

Hallo ihr geduldigen Blogleser :)

Ich weiss der letzte Bericht ist lange her. Und mittlerweile hat sich soviel Erlebtes angestaut das die Hemmschwelle einen neuen Eintrag zu schreiben relativ hoch war. Nichts moechte ich gerne auslassen und doch waere ueber alles zu schreiben ein wahnsinniger Zeitaufwand. Neuigkeiten aus meiner Umgebung und zwei grosse Reiseberichte aus Salvador und São Paulo. Deswegen greife ich zu einer sehr unpersoenlichen Loesung. Als Salvador-Bericht setzte ich euch einfach den von Philipp vor (der natuerlich qualitativ einem von mir in nichts nachstehen wuerde ;). Besonders das Waldorfseminar betreffend habe ich da sehr aehnliche Ansichten.
Viel Spass damit :)

Salvador - Für 2 Tage Touri sein (von Philipp)

Fünfspurige Straßen; Häuserschluchten; Stadtlärm.
Diese Eindrücke weckten mich morgens aus dem viel zu kalten Schlaf im (leider) klimatisierten Nachtbus nach Salvador auf. Die Morgensonne taucht immer wieder zwischen den Hochhäusern auf und beleuchtet die schon um diese Uhrzeit voll befahrenen Straßen unregelmäßig und lässt mich mit noch immer schlafenden Augen wundern, wo ich eigentlich gerade bin.
Salvador - die größte Stadt Bahias und ehemalige Hauptstadt Brasiliens - ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich bislang in den letzten 3 Monate von Brasilien gesehen habe. Laura, Tiago, Fabiana (Kindergärtnerin in Dendê da Serra) und ich ließen für ein Wochenende die so überschaubare und langsam recht gut bekannte Gegend rund um Serra Grande zurück, um das Neuland einer brasilianischen Großstadt zu erleben. „Neuland“ natürlich nur für Laura und mich, da Tiago selbstverständlich schonmal dort war und Fabianas Mutter Lais dort wohnt, was uns dann auch die Möglichkeit einräumte, bei selbiger von Samstag auf Sonntag kostenlos schlafen zu können.
Angekommen an der Rodoviaria, dem Busbahnhof der überregionalen Busse, ist es erstmal wieder ungewohnt, so viele unbekannte Menschen hektisch durch die Gegend laufen zu sehen. Da merke ich, wie viele Leute ich in Serra schon „kenne“, das heißt, zumindest schonmal gesehen habe. Eine wahrscheinlich semioffizielle Mischung aus einem öffentlichen und privaten Bus, dessen Cobrador (Fahrkartenverkäufer) an jeder Haltestelle den öffentlichen Stadtbussen die Fahrgäste abquatschen will, bringt uns zu der Schule, an der Fabianas Beweggrund zu dieser Reise stattfinden soll - ein echtes Waldorfseminar!
Da Laura sich ebenfalls im Voraus zu diesem Seminar angemeldet hat und Tiago sich das ganze auch mal anschauen will, stehe ich vor der Wahl plan- und stadtplanlos Salvador alleine zu erkunden oder ein, wie gesagt, echtes Waldorfseminar zu besuchen. Tragischerweise entscheide ich mich für letzteres, was mir im Laufe des Vormittags leider nicht viel mehr als ein amüsiertes Lächeln und ein fragendes Kopfschütteln bescheren soll.
Nach einem Begrüßungslied und der Bestätigung, dass sich alle sehr lieb haben, habe ich meine erste Begegnung mit der Eurythmie, den (mehr oder weniger) koordinierten Bewegungen und Gestiken in Einklang mit lyrischem Text. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es vielleicht daran lag, dass wir eine Choreographie für die 3. Klasse spielten, jedoch verwehrte ich mir nicht des Eindruckes, dass es einfach sehr albern ist, wenn 40 Erwachsene Menschen mit wehenden Armen, „strella-strella“ rufend durch den Raum schweben um so den Nachthimmel darzustellen...
Der darauf folgende Vortrag lässt mich zunächst schmunzeln und ich halte es für einen Scherz - es geht um „cabeça grande“ und „cabeça pequena“: Großköpfe und Kleinköpfe. Kinder lassen sich anhand ihrer Kopfgröße in zwei Kategorien einteilen (die Antroposophie scheint viel in Kategorien zu denken, wie ich feststelle), und diese prägen ihr Wesen. So sind Kinder mit einem großen Kopf viel verträumter, phantasievoller, schweifen gedanklich eher ab, leben mit ihrem Kopf nicht „auf dieser Welt“, während allerdings Kinder mit einem kleinen Kopf aktiver, erdgebunden und auf Hand- oder körperliche Arbeit fixiert sind. Großköpfe schlafen länger und träumen viel, stehen morgens ungern auf und lassen sich mit einem Spritzer kalten Wasser ins Gesicht in die Realität zurückholen; Kleinköpfe brauchen Wärme zur Beruhigung ihrer hohen Aktivität, es gibt auch eine spezielle Wickeltechnik, um ihnen ein warmes Handtuch um den Bauch zu binden. Der Großkopf soll eher salziges Essen und Wurzeln oder tiefwachsende Gemüsesorten verzehren, der Kleinkopf brauch süßes, buntes Essen wie zum Beispiel Früchte oder Säfte.
Soweit die Theorie.
Doch wo diese Thesen herkommen?
Wurde nicht erwähnt.
Und wie das belegt wurde und wird?
Wurde nicht erwähnt.

Die bereitwillige Zustimmung im Publikum läßt mich ein bisschen frösteln und mich fragen, wie man so vorschnell Kinder beurteilen kann und ob das richtig ist zu versuchen, Kinder in zwei Kategorien einteilen zu wollen. Also doch kein Scherz das ganze. Auf die Frage, ob dies denn immer zutrifft, antwortet die Vortragende: Nein, natürlich gibt es Ausnahmen.
Und wenn nun 50% der Fälle „Ausnahmen“ sind? Und die Wahrnehmung so fixiert ist, dass sie eben nur diese Fälle wahr nimmt, bei denen es gerade zutrifft und so die Theorie scheinbar bestätigt wird?
Ich will auf gar kein Fall abstreiten, dass es diese Typen von Kindern gibt, aber zu behaupten, die Kopfform bestimme das Wesen eines Kindes, klingt für mich aus der Luft gegriffen, unbelegbar und wahllos.
Nach dem Mittagessen entscheiden wir drei, Laura, Tiago und ich, uns, die Zeit sinnvoll zu nutzen und die Stadt anzuschauen. Oder besser gesagt, wir wollen versuchen die Stadt anzuschauen.
Wir bummeln ein paar Touripunkte ab, sehen die Altstadt, schlendern durch die Gassen - aber es war weit weg von „die Stadt kennenlernen“ oder „Salvador erleben“. In meinen 3 Monaten in Serra war es für mich möglich, das Leben dort im Ansatz kennen zu lernen: Mit den Menschen dort zu reden; dort zu arbeiten; dort zu wohnen. Doch 1 1/2 Tage müde durch eine Stadt zu rennen und versuchen mitzukriegen, wie das Leben dort funktioniert, indem man ein paar nette Fotos schießt, ist meilenweit davon entfernt. Auch mit vorheriger Planung des Wochenendes, auf die wir naiver Weise verzichtet haben, wäre das nicht wirklich möglich gewesen.
So kann ich bislang nur ein zwar sehr schönes und interessantes Bild von Salvador in meinem Kopf abspeichern, aber auch ein sehr oberflächliches. Es ist die Mischung aus den riesigen Hochhäusern, verfallenden Gebäuden in der Innenstadt, den Armenvierteln an den Hängen und das belebte Treiben auf den Plätzen, dass ich im Kopf behalte, mich aber fragend, wie es in diesen Häusern aussieht, was die Menschen reden und wie sie ihren Tag verbringen.
Auf der Heimfahrt, wieder in einem dieser winterlich gekühlten Nachtbusse, in die ich unwissend nur mit T-Shirt bekleidet einstieg, frage ich mich, wie anders es wäre, meinen Freiwilligendienst zwischen diesen fünfspurigen Straßen, den Häuserschluchten und dem Stadtlärm zu leisten, kann es mir aber nur sehr schwer ausmalen.

(Ich)
Jetzt zu São Paulo- eine umwerfende Stadt- und das bei weitem nicht nur im positiven Sinne. Dort waren wir wegen dem von Weltwaerts vorgeschriebenen 5taegigen Zwischenseminar, durch folgeneden Zufall wir Dende da Serra Freiwilligen aber ganze 10 Tage.
Es begab sich das mir eine nette Tam-Angestellte im letzten Moment dieses 10 Tage-Sonderangebot rausgesucht hatte, als ich schon fast mit meiner Kreditkarte einen vorher reservierten Flug (der ca. 400 Euro teurer war) bezahlt haette. Jene nette Angestellt hat wahrscheinlich an diesem Tag einen Verlust fuer die Fluglinie in Hoehe ihres Monatsgehaltes gemacht.
Viel hatten wir im Vorherein von den Leuten aus dem Dorf und der Schule ueber São Paulo gehoert, denn irgendwie hatte jeder schon mal fuer eine bestimmte Zeit in der 20-Millionenstadt gewohnt und gearbeitet.
Los gings also aus dem tropisch-heissen Sargi in das regnerische kalte São Paulo.
In dem naiven Glauben das es wohl auch dort sommerlich sein wuerde hatte ich nur eine lange Hose und keine geschlossenen Schule im Gepaeck. Das stellte sich schon bald als Fehler heraus und auch die Erinnerung, dass es sowas wie Kaelte gab kehrte in mein Bewusstsein zurueck.
Das Seminar fand in einem schoenen Sitio (sowas wie eine kleine Ferienanlage) ausserhalb von São Paulo statt und die Naechte vorher und nacher konnten wir gluecklicherweise bei Reinaldo, dem Seminarleiter, in seinem Haus am Stadtrand bleiben. Das Seminar habe ich als sehr schoen empfunden. Einerseits wegen der vielen Informationen und Einblicken in die Arbeit der anderen 12 Freiwilligen, welche alle ausschliesslich in der Naehe von São Paulo arbeiten, aber auch wegen der angenehmen geborgenen Atmosphaere.
Durch die Erzaehlungen der anderen hat sich die Sicht auf meine Dienststelle, sowie auch auf mein Leben insgesamt hier, spuerbar veraendert. Ich denke jetzt wir haben eine sehr gute Dienststelle „abbekommen“ (trotz der Startschwierigkeiten). Keine Probleme mit den Einrichtungsleitern, sehr sehr kompetente Lehrer und eine ausereifte Paedagogik. Auch durften wir uns recht neidische Kommentare anhoeren bezueglich Strand, Surfen und Wetter. Doch bietet eine Dienststelle einem in São Paulo Moeglichkeiten die wir nicht haben. Kino, abends Weggehen, Shoppen oder kulturelle Angebote, wie Theater, die mir in Serra und Umgebung sehr fehlen.
Offizielle Programmpunkte des Seminars waren z.B.: Stimmungs- und Arbeitskurve zeichnen, Einrichtung vorstellen, Vortraege von verschiedenen Dozenten, Austausch mit Brasilianern die in Deutschland waren, Besuch von einer Behinderteneinrichtung, Workshops wie T-Shirts selber gestalten oder Maculêle (ja den haben wir Dende-Freiwilligen organisiert ;)!). Leider war das Essen zu gut, sodass ich wahrscheinlich einen neuen Rekordstand erreicht habe, aber zu meiner Beruhigung haben fast alle anderen weiblichen Freiwilligen auch ca. 7 Kilo zugenommen.
Sehr gefreut habe ich mich auch Harm, einen anderenFreiwilligen, der in der Naehe von Fortaleza (noch weiter im Norden) ist, wiederzusehen. Mit ihm habe ich auch in den Tagen nach dem Seminar die Stadt erkundet.
Sagen wir es wie es ist, São Paulo ist einfach keine Touristenstadt. Die meisten Menschen geben sogar zu, dass sie nur da sind um Geld zu machen. Ich, mit meinem von Palmen und Strand getruebten Blick, habe sie in groessen Teilen als haesslich, grau und beunruhigend wahrgenommen. Da Reinaldo fast an der Stadtgrenze wohnt lagen zwischen uns und dem Anfang der eigentlichen Stadt immer 1 bis 2 Stunden rasanter Busfahrt, die mir manchmal richtig den Magen umdrehten. Man faehrt wirklich eine Stunde lang durch sich voellig gleichende Viertel, viele von ihnen Favelas. Rauf und runter. Besonders schlimm ist es im Berufsverkehr. Ab fuenf Uhr morgens bis ca. um neun sind die Busse (und es hunderte!- einer nach dem anderen) gerappelt voll. Ich frage mich wie die Menschen nach solchen zweistuendigen Busfahrten im Stehen noch die Kraft aufbringen acht Stunden zu arbeiten...? Und danach nochmal das ganze.
Besichtigt haben wir relativ wahllos Sachen, die uns die anderen Freiwilligen empfahlen. Riesige Einkaufsstrassen von Strassenhaendlern, wo sich die bunte quirrlige Seite der Stadt zeigte. Maerkte (haha ein Stueck hollaendischer Kaese 60 Reais), alte Bauten, futuristische Hochhaeuser und unglaublich ueberdimensionale Shoppingcenter. Eine Stadt des Alles. Alles gibt es hier. Zu kaufen, zu sehen, zu erleben. Von bettelarm bis zum ueberspruehenden Luxus.
Ich hoffe die Fotos lassen euch die riesigen Dimensionen der Stadt verstehen.
Nach diesen 10 Tagen war ich regelrecht froh wieder in mein gewohntes Leben in Bahia zurueckkehren zu koennen. Es hat mich ein bisschen erschreckt, dass ich mein kleines Dorf schon so vermisst habe... die Spannung steigt wie es dann erst in 8 Monaten aussieht ;)

Das Leben in Sargi geht ansonsten seinen gewoehnlichen Gang. Letztes Wochenende haben wir uns ein gebrauchtes Surfboard fuer 200 Reais gekauft.
Da die abendliche Beschaeftigung meistens nur aus Kochen und Essen bestand habe ich endlich mal ein paar Spiele wie Muehle und Schach besorgt. Gestern haben wir dann Muehle gespielt, aber ich habe ganz schrecklich verloren (das Spiel ist auch wirklich doof) und war ziemlich sauer... Zur Zeit gibt es ganz schlimme Gewitter, mit umkippenden Baeumen, Ueberschwemmungen und Stromausfaellen. Eigentlich recht lustig ;) Uns hats genau beim Kochen erwischt und da die Sonne schon untergegangen war, war es wirklich wirklich dunkel (Kerzen hatten wir natuerlich keine). Haben dann aber tapfer durchgezogen und sogar geniessbare Nudeln mit leckerer Sosse in vollkommener Dunkelheit gegessen. War ziemlich schwer mit der Gabel den Mund zu treffen ;) So und so aehnlich sieht also unser Alltag aus.

Meine Reiseplaene stehen jetzt auch langsam, Weihnachten und Silvester wird hier gefeiert und nach Silvester reise ich dann mit Harm die Kueste hoch, bis zu seiner Dienststelle, danach (Ende Januar) wieder schnell zurueck nach Salvador um meine lieben Eltern abzuholen!

Liebe Gruesse und allen eine besinnliche Vorweihnachtszeit ;)
Eure Laura

Maculêle-Praesentation der 7. Klasse




Zusammensitzen mit Musik


... und Fackeltanz


neugestrichen












Grosskoepfe und Kleinkoepfe



Stadteindruecke aus Salvador




















mit T-Shirt in der Weihnachtswelt











Sao Paulo

































dieses Schiff ist da um den ganzen Muell aus dem biologisch toten Fluss zu holen

3 Kommentare:

Schildi61 hat gesagt…

Komme gerade von der Betriebsweihnachtsfeier. Beiendruckende Fotos. Das Haus habt ihr toll renoviert. Wer ist denn "der blonde Recke" in deiner Nähe????

Gute Nacht, bis bald....

rose1989 hat gesagt…

Hallo du,
ich bin gerade vom Schwimmen wieder gekommen ( heute war alles irgendwie ein wenig seltsam...) und es regnet hier *grummel*
Aber sonst ist hier das Wetter ganz schön: wir haben öfters Schnee gehabt und es ist schöne klare Winterluft vorhanden ^^
Ja, die Uni läuft soweit ganz gut, ist aber sehr stressig ( von wegen Studenten haben zu viel Zeit ) Ich hab zur Zeit etwa eine 30-Stunden Wochen, und sitze dann meistens noch ganz lange abends zu hause und lerne...
Sonst gibt´s so einiges neues: Mein anderes Kanninchen ist gestorben und wir haben jetzt seit 3 Monaten etwa ein Häschen *voll süß* und außerdem seit etwa 3 Wochen einen kleinen goldenen Kater namens Fritz ( er war wirldlebend und rannte auf dem Dorf rum, wo Martins Eltern ihr Haus haben ). Fritz haben wir "adoptiert", weil er sonst den Winter nicht übelebt hätte...und nun sind wir fast ein Zoo wie meine Eltern immer sagen :)
Hmm...was gibt´s sonst noch...ach ja, Silvester feiern die Hasis, zu mindest die, die Zeit haben, bei mir in der Wohnung ^^ schade, dass du nicht da bist.

Die Fotos sind wirklich toll, und du scheinst ja auch schon einen blonden "Mark-Ersatz" gefunden zu haben *lol* der wer ist das?
Und ich glaube, es ist nicht schlimm, wenn du ein bischen Fleisch auf die Rippen bekommst ( denk dran "Hüftknochen auf Hüftknochen kann ganz schön weh tun" ^^ ) und euer Haus sieht auch toll aus, mal sehen, ob ich es im den 2 Monaten Semesterferien schaffe, euch mal zu besuchen...wäre voll toll :)
mach dir weiter eine schöne Zeit ;)
knuddel + knutscha
ps: ruf mal wieder an!!!

Laura Seiffert hat gesagt…

haha der blonde recke ist harm und hats mir nicht in der beziehung angetan ^^
ich muss auch unbedingt mal die fotos von unserem kater reinstellen!